Die Transformation von Führungsgremien in Schweizer Sportverbänden ist ein komplexer Prozess, der durch unterschiedliche Faktoren wie gesellschaftliche Veränderungen, neue regulatorische Anforderungen, steigende Erwartungen an Transparenz und Professionalität sowie die Diversifizierung der Sportlandschaft beeinflusst wird.
Die Transformation ist ein notwendiger Schritt, um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Ein Mix aus Professionalität, Diversität, technologischer Innovation und gesellschaftlicher Verantwortung wird entscheidend sein, um den langfristigen Erfolg der Verbände zu sichern. Kooperationen mit nationalen und internationalen Organisationen, ein klarer Blick auf die Bedürfnisse der Mitglieder sowie ein Fokus auf ethische und nachhaltige Prinzipien sind Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Transformation.
Sandra Vontobel hatte Gelegenheit sich mit Marisa Reich (Mitglied des Vorstands von Swiss Cycling) zum Thema Transformation von Führungsgremien in Schweizer Sportverbänden auszutauschen. Daraus ist ein spannendes und inspirierendes Interview entstanden.
Marisa Reich
Marisa Reich ist eine sportbegeisterte Persönlichkeit mit über zwanzig Jahren Erfahrung in verschiedenen Bereichen des Sports. Marisa verfügt über fundierte Expertise im professionellen Athletenmanagement, verantwortete die Kommunikation, Personal und Kultur von nationalen und internationalen Unternehmen im Sport, arbeitet im Mandat und ist als Dozentin für Sportmanagement an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) tätig. Als Mitglied des Vorstands von Swiss Cycling ist sie auch für strategische Ausrichtung eines grossen Verbands mitverantwortlich. Marisa verfügt über ein grosses Netzwerk im Sportumfeld und setzte sich als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende bei She Sports Switzerland aktiv für die Anliegen von Frauen im Sport ein.
Sandra Vontobel ist Partnerin und Mitinhaberin von De Bord International, einer Executive Search Boutique in Zürich und war über zehn Jahre in einem internationalen Sportmarketingunternehmen tätig. Bei De Bord ist sie unter anderem für die Besetzung von Führungsgremien in Verbänden und Vereinen zuständig.
Sandra:
Marisa, was hat Dich motiviert, die Aufgabe im Vorstand von Swiss Cycling zu übernehmen?
Marisa:
Mit meinen vielfältigen Erfahrungen im Sportsektor kann ich vielschichtige Perspektiven und strategische Ansätze in den Verband bringen.
Meine Hauptaufgabe bei Swiss Cycling ist die strategische Führung, um den Verband und den Radsport in der Schweiz weiterzuentwickeln und nachhaltig zu fördern. Dabei geht es nicht nur um den Profisport, sondern auch um den Breitensport und die gezielte Förderung im Nachwuchsbereich. Natürlich zählt zu den Aufgaben auch das Thema Frauenradsport, welches mir am Herzen liegt, unter anderem durch Projekte wie «Fast and Female» oder die Etablierung der Tour de Suisse Women.
Das Hinterfragen von gegebenen Strukturen, eine offene Kommunikation und die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven sind wichtige Elemente der Weiterentwicklung des Sports. Durch meine Repräsentation nach aussen setze ich mich dafür ein, Swiss Cycling als modernen und inklusiven Verband zu positionieren.
Sandra:
Wie bewertest Du die Vertretung von Frauen in Leitungsgremien im Sport generell und in Führungsrollen von Sportverbänden im Speziellen?
Marisa:
In der Schweizer Sportwelt zeichnet sich in den vergangenen Jahren ein ermutigender Wandel ab, doch der Weg zu einer echten Geschlechterparität in Führungspositionen ist noch weit. Eine nachhaltige Transformation erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der Frauen auf allen Ebenen des Sports fördert – von Athletinnen über Trainerinnen bis hin zu Führungskräften.
Entscheidend ist die Schaffung eines inklusiven Ökosystems, dass Frauen vom Breitensport bis in die höchsten Führungsebenen unterstützt und inspiriert. Dies umfasst gezielte Förderprogramme, die Talente identifizieren und entwickeln, sowie eine Kultur, die Frauen ermutigt, Führungsrollen anzunehmen und professionelle und innovative Wege im Sport zu beschreiten. Nur durch diesen umfassenden Ansatz können wir eine Sportwelt gestalten, in der Frauen auf allen Ebenen gleichberechtigt vertreten sind und ihr volles Potenzial entfalten können.
Sandra:
Bringen Frauen andere Kompetenzen und Perspektiven in ein Führungsgremium ein?
Marisa:
Oft bringen Frauen ausgeprägte interpersonelle Fähigkeiten wie Empathie, Kommunikation und Konfliktmanagement mit. Zudem tendieren Frauen dazu, ethische Aspekte stärker in den Vordergrund zu rücken, was zu einer ganzheitlicheren Betrachtung von Entscheidungen und deren Auswirkungen führt. Darüber hinaus tragen Frauen in Führungspositionen zur Steigerung von Kreativität und Innovation bei. Ihre oft unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen erweitern den Blickwinkel des gesamten Teams und fördern vielfältigere, nachhaltigere Lösungsansätze. Diese Kompetenzen sind wertvoll, um eine moderne, zukunftsfähige Führungskultur zu etablieren. Wichtig ist aber immer die Interaktion im Gesamtgremium.
Sandra:
Im Jahr 2025 treten die Neuerungen der Sportförderungsverordnung in Kraft, wonach Organisationen, welche vom Bund Fördergelder erhalten, eine Geschlechterquote von mindestens 40 % aufweisen müssen. Wie hältst Du davon?
Marisa:
Meines Erachtens ist die Geschlechterquote notwendig, aber ich sehe sie nur als ein temporäres Werkzeug. Seit der Pekinger Erklärung von 1995 haben wir gesehen, dass freiwillige Massnahmen allein nicht ausreichen, um eine ausgeglichenere Geschlechtervertretung zu erreichen. Die Quote ist der einzige wirksame Hebel, um eine diverse Führungskultur zu etablieren. Fortschritte allein durch Regulierungen zu erzielen, reicht aber nicht – der Wandel muss auch in den Strukturen verankert werden. Auch dies sollte Aufgabe des Vorstandes sein.
Sandra:
Es ist offensichtlich, dass es Sportarten gibt, die wesentlich von Männern geprägt sind. Wie sollen diese Verbände mit der neuen Regelung umgehen?
Marisa:
Diese Verbände stehen vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Es braucht von ganz oben Mut und Wille zur Veränderung. Es ist aber auch eine grosse Chance, einen Verband neu auszurichten, die gegebenen Strukturen zu hinterfragen und sich zu überlegen, welche Kompetenzen für die zukünftigen Herausforderungen im Führungsgremium vorhanden sein sollten.
Ein externes Sparring kann dabei helfen, die vielen aktuellen Themen zu erfassen, zu priorisieren und Massnahmen zu definieren. Dazu gehört auch die Suche nach qualifizierten Frauen für die Führungsgremien.
Sandra:
Was würdest Du Frauen raten, die eine Karriere in der Leitung von Sportverbänden anstreben?
Marisa:
Auch Frauen müssen ihr Profil schärfen, ihre Kompetenzen sichtbar machen und ihre Ziele kommunizieren. Ambitionen sollten offen ausgesprochen werden. Manchmal muss man Umwege in Kauf nehmen, um ein Ziel zu erreichen. Dieses soll immer klar vor Augen sein und konsequent verfolgt werden. Vorbild für andere zu sein, sich nicht entmutigen zu lassen und stets daran arbeiten, die eigenen Stärken zu kennen und weiter auszubauen. Auch hier kann ein externes Sparring helfen.
Vielen Dank Marisa für diese spannenden Ausführungen!